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König Ludwig II. von Bayern und die "Nibelungen"
Teil 1, Buchbesprechung

"Die Szene als Modell. Die Bühnenbildmodelle
des Richard-Wagner-Museums und der
‚Ring des Nibelungen' in Bayreuth 1876-2000"

Umfang: 172 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Taschenbuch
Verlag: Deutscher Kunstverlag, München-Berlin 2006
ISBN 3-422-06648-9, 978-3-488-06648-9 (ab 2007)
Preis: € 24,90

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Ausstellung der Modelle von Wagners Bühnenbildern

In dem zur Bayerischen Schlösserverwaltung gehörenden "Markgräflichen Opernhaus" in Bayreuth besuchten über 14.000 Besucher die Sonderausstellung mit dem Titel "Der Ring - Die Szene als Modell", die in Zusammenarbeit mit den Bayreuther Festspielen für die Dauer der vergangenen Festspiele (25.07. bis 28.08.2006) organisiert wurde.

In dem Opernhaus aus dem 18. Jahrhundert hatte Richard Wagner die Entscheidung getroffen, in Bayreuth ein Festspielhaus zu bauen und hier fand auch die Feier zur Grundsteinlegung des Festspielhauses am 22. Mai 1872, an Wagners 59. Geburtstag statt.

In der Ausstellung wurden Skizzen, Entwürfe und Requisiten zu den verschiedenen Inszenierungen der vier Opern aus dem "Ring des Nibelungen" gezeigt; erstmals waren auch Bühnenmodelle der Ring-Uraufführung von 1876 zu sehen.

85 Modelle gehören zu den Sammlungen des Richard-Wagner-Museums im Haus Wahnfried, die bisher im ausgebauten Kellergeschoss untergebracht waren. Als Vorläuferinstitution des 1976 eröffneten Richard-Wagner-Museums waren die Bühnenbildmodelle Teil einer eigenen Abteilung in der schon 1927 im Neuen Schloss von Bayreuth eingerichteten Richard-Wagner-Gedenkstätte. Die Modelle aus Papier, Holz und Textilien haben den Zweiten Weltkrieg überstanden, obwohl in Bayreuth das Neue Schloss und auch das Haus Wahnfried schwer beschädigt wurden. Dennoch haben die Modelle sehr gelitten; so z. B. durch Schimmelbefall und Schmorschäden, die die Hitze der in den Schaukästen eingebauten Lampen verursachten. Als dann Putzflächen im Keller abstürzten, wurde die Abteilung 1999 geschlossen. In den vergangenen Jahren wurde die Bühnenbildmodellsammlung des Richard-Wagner-Museums restauriert und konnte jetzt wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Als besondere Attraktion gelten die erst kürzlich wieder aufgetauchten Originale des Wiener Landschaftsmalers Joseph Hoffmann (1831-1904), der in 19 farbigen Bildern Szenen aus dem "Ring" im Stil von Mythen- und Historiengemälden entworfen hatte. Dabei wurden die Schlüsselszenen aber nicht nur als Bühnenbild, sondern mit den handelnden Personen, Licht und Wetter dargestellt. Erst damit ist eine Vorstellung vom gewollten Eindruck der Uraufführung möglich. Für die Bühne waren die überbordernden Kulissen jedoch kaum zu verwirklichen.

Auch König Ludwig II. schätzte die Bühnenentwürfe Hoffmanns sehr und kritisierte an der ersten Bayreuther Inszenierung die geänderten Ausführungen.

Richard Wagner selbst trennte sich von dem Künstler. Er ließ das Orchester "verschwinden" und war auch bei den Bühnenbildern sehr anspruchsvoll. Die Musik sollte die Szene unterstützen, und so waren auch die Bilder für Wagner von großer Bedeutung. Von den Entwürfen Hoffmanns waren lange Zeit nur Fotografien bekannt - König Ludwig selbst soll auch solche Aufnahmen besessen haben.

Begleitbuch zur Ausstellung

Zu der Ausstellung ist auch ein umfangreicher Text- und Bildband erschienen, der in verschiedenen Aufsätzen die Entwicklung der Bühnenbilder von 1876 bis 2000 darstellt, die seit 1951 deutlich vom jeweiligen Zeitgeist bestimmt sind. Die Dokumentation wurde von der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern herausgegeben.

In Bayern sind von mehr als 1.250 Museen und Sammlungen über 1.100 in nichtstaatlicher Trägerschaft. Die Landesstelle ist beim Landesamt für Denkmalpflege angesiedelt und betreut, fördert und berät diese Museen.

Sie gibt auch die Reihe "Bayerische Museen" heraus, die inzwischen 30 Bände umfasst und sich themenorientiert mit besonders interessanten Sammlungen befasst und damit tiefergehende Informationen bieten möchte.

Gleich fünf Grußworte, vom Oberbürgermeister von Bayreuth bis zum Leiter der Bayreuther Festspiele, Wolfgang Wagner, sind den Beiträgen des Bandes vorangestellt, der nicht nur die Bühnenbildmodelle und deren Restaurierung dokumentiert, sondern gleichzeitig auch eine wertvolle Gesamtdarstellung der Aufführungsgeschichte des "Rings" bei den Bayreuther Festspielen von 1876 bis 2000 liefert.

Das Buch "Die Szene als Modell" ist kein Katalog im herkömmlichen Sinne; es enthält Beiträge zur Konservierung und Restaurierung der Bühnenbildmodelle und soll vor allem "in der Phase der Neukonzeption der Ausstellung des Richard-Wagner-Museums den Zugang zu diesen einzigartigen Werken der Bühnenkunst ermöglichen."

Die Einführung stammt von dem seit 1993 als wissenschaftlicher Leiter der Richard-Wagner-Stiftung tätigen Direktor des Richard-Wagner-Museums Bayreuth Dr. Sven Friedrich. Der 1963 geborene Theaterwissenschaftler und Germanist ist durch zahlreiche Vorträge und Publikationen hinlänglich bekannt; unter anderem ist er Herausgeber der CD-ROM-Edition "Richard Wagner".

Er beschreibt die Bedeutung des Bühnenbildes, das Wagner selbst "im Kontext seiner Idee des ‚Gesamtkunstwerks' nicht als autonome ästhetische Erscheinung, sondern als ‚schweigend ermöglichenden Hintergrund' bezeichnete." Im 19. Jahrhundert hatte die Theaterdekoration eine "rein illustrierende Funktion" und war "gleichwohl ein das Theaterkunstwerk maßgeblich bestimmendes Element".

So ist an den Modellen die Entwicklung des Bühnenbildes und der Bühnentechnik exemplarisch ablesbar: sie mündet - von der "barocken Kulissenbühne" über den historistischen Naturalismus des 19. Jahrhunderts - in die "postmoderne Spielbühne" von heute. Friedrich sieht in dieser Postmoderne eine Konstruktion, die "collagierend, synkretistisch, assoziativ und/oder zitierend verschiedenartigste historische, typologische oder stilistischer Versatzstücke kombiniert", so dass sich "überraschende wie verstörende Verweisungszusammenhänge" ergeben. Wagner selbst wollte "Ideen-Räume mit einer bezwingenden Illusionskraft".

Für die Übergänge von Ideen über Skizzen und Entwürfe zum eigentlichen dreidimensionalen Bühnenbild ist die Erprobung im Modell unabdingbar. Diese Modelle waren Anschauungs- und Arbeitsmodelle. Vielfach wurden diese "nach Gebrauch" vernichtet, einige blieben aber zum Glück erhalten.

Friedrich beschreibt die Detailtreue und Kunstfertigkeit einzelner Exemplare und den Aufbau des umfangreichen Modell-Archivs, das zum Teil aus Nachlässen der ehemaligen Bühnenbildner zusammen getragen wurde.

Mit den bis vor kurzem verschollenen und in der Ausstellung erstmals gezeigten originalen Skizzen und Entwürfen für den ersten Bayreuther Ring 1876 vom Wiener Künstler Josef Hoffmann (1831-1904) wurde eine kunstgeschichtliche Sensation präsentiert.

Oswald Georg Bauer beschreibt in seinem reich bebilderten Beitrag sehr anschaulich die Gratwanderung, die Hoffmann, wie wohl jeder Bühnenbildner, nach den vom Autor in allen Details vorgeschriebenen Schauplatz gehen musste: "Reinster Idealismus und unzulängliche Realisierung".

Hoffmann war ausgebildeter Landschaftsmaler und durch mehrere Ausstattungen aufgefallen. Als kritischer Kopf klagte er "über die Missstände im Dekorationswesen" und schlug "eine Reform der Dekoration durch die Einführung von dreidimensional gebauten Bildern anstelle der flachen, perspektivisch gemalten Leinwandbahnen" vor.

Wagner wandte sich an ihn, weil er "auf seine besonderen Leistungen aufmerksam gemacht wurde, ‚deren Charakter' dem von ihm ‚Geforderten bereits sehr nahe gekommen scheint'". Zwischen Wagner, seinem Bühnentechniker Carl Brandt und Hoffmann kam es, da letzterer wohl "als sehr selbstbewusst, als autokratisch und leicht erregbar geschildert wird", zu heftigen Auseinandersetzungen und zum unvermeidlichen Konflikt - dennoch hat er "das Künstlertum Hoffmanns (…) immer anerkannt".

Insgesamt fertigte Hoffmann 14 Entwürfe für die zwölf verschiedenen Schauplätze, die Wagner vorschrieb. Bauer beschreibt seine akribische Suche nach Fotos, Beschreibungen und Originalen. Er nahm die zwischenzeitlich verlorene Spur immer wieder auf und fand die Ölskizzen endgültig zum Jahresende 2005 im Münchener Kunsthandel, bis sie schließlich für das Museum in Wahnfried erworben werden konnten.

So fand er heraus, dass Hoffmann 1878 und 1885 für König Ludwig II. zwei verschiedene Serien von Illustrationen zum "Ring des Nibelungen" gemalt hat. Im Königshaus am Schachen haben sich acht Schwarzweiß-Fotografien erhalten - die Originale sind wohl verschollen. Der König habe auch die komplette Serie der kleinen Ölskizzen erwerben wollen, "aber es scheint nicht zu einem Ankauf gekommen zu sein".

Interessanterweise fand Bauer heraus, dass Geo Ehni aus Stuttgart, der ja zahlreiche Gegenstände des Königs nach dessen Tod aufkaufte, auch Hoffmanns Bilder übernommen hatte. Da diese aber nicht in dem Auktionskatalog von 1888 genannt werden, müssen sie schon vor der Auktion veräußert worden sein.

Über die Restaurierung der Bühnenbildmodell-Sammlung aus technischer Sicht schreibt der studierte Restaurator Peter Axer im zweiten Beitrag. Er beschreibt - nach einer ausführlichen Vorstellung der Sammlung - die Schäden, die als "Folgen jahrzehntelanger ungeschützter Präsentation und Aufbewahrung" entstanden sind. Dabei geht er sehr detailliert auf den Erhaltungszustand der Modelle und das Restaurierungskonzept ein.

Da die Umsetzung Wagners szenischer Vorgaben immer auch ein Abbild der jeweiligen Zeit ist, werden der Wechselwirkung des "Ring" mit seinem "zeitgeschichtlichem, sozialen und politischen Umfeld und dessen Rahmenbedingungen" zwei Kapitel gewidmet.

Im ersten Teil schildert Sven Friedrich "Szene und Zeitgeist" des "Ring" in Bayreuth von 1876 bis 1945. Diesen Zeitraum unterteilt er in vier Epochen: I. Die Ära Richard Wagner (1876-1882), II. Die Ära Cosima Wagner (1883-1906), III. Die Ära Siegfried Wagner (1908-1930) und IV. Die Ära Winifred Wagner (1930-1945).

Sehr spannend ist hier die Entwicklung von der ersten Idee der Wahl eines Ortes für die Aufführung in der "schönen Einöde, fern von dem Qualm und dem Industrie-Pestgeruche" über den Entschluss König Ludwigs, in München ein Wagner-Theater bauen zu lassen, der bekanntermaßen zu der vom bayerischen Kabinett erzwungenen Ausweisung Wagners führte bis zur Wahl des Standorts Bayreuth.

Das Projekt "Festspiel Bayreuth" machte jedenfalls enorme Verluste und Wagner selbst erlebte keine weiteren Festspiele in Bayreuth. Der gesamte Fundus wurde verkauft; der nächste Bayreuther Ring fand 1896 statt. Friedrich schreibt über die Kulissen: "trotz allem Erfindungsreichtums (…) stieß die barocke Kulissenbühne des 19. Jahrhunderts (…) angesichts der im eigentlichen Sinne ‚filmischen' Szene Wagners mit ihrer Dynamik, ihrer Überblendoptik, ihren Fahrten, Schnitten und Spezialeffekten an ihre natürlichen Grenzen."

König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner verzweifelten an ihrem gemeinsamen, nicht zu bändigen Verlangen: dem Diktum "Alles echt!". "Nachdem ich das unsichtbare Orchester geschaffen, möchte ich auch das unsichtbare Theater erfinden!", so zitierte Cosima in ihren Tagebüchern Wagner 1878. Vielleicht hat Ludwig dies auch für sich als Maßstab übernommen.

Sven Friedrich beschreibt sehr schön auch das zeitgenössische Verständnis, "vor allem als nationalen Stoff des germanischen Mythos (…). Die Figur Siegfried wurde vor allem als heroische Erscheinung eines ‚ur- und kerndeutschen' Menschentypus' wahrgenommen." Ein gänzlich entgegengesetztes Identitätsgefühl als das des bayerischen Königs.

Der damalige Festspielgast entstammte - so fand Friedrich heraus - "den ersten Familien des europäischen Adels, den restaurativen, monarchistischen, antidemokratischen Kräften des Deutschen Reiches." Und damit eben nicht dem Kreis, den Wagner mit seinem "Humanpathos und seiner romantischen Welterlösungs-Utopie gerade als Infragestellung preußischer ‚Leitkultur' und ihres Geistes" ansprechen wollte. Es ist somit mehr als verständlich, dass Ludwig bei den Festspielen nur die Generalproben besuchte und dann abreiste.

Richard Wagner erlebte ja nur zwei Festspiele in Bayreuth: neben dem "Ring" von 1876 dann im Jahre 1882 die Uraufführung des "Parsifal". Mit Wagners Tod 1883 "starb der avantgardistisch-revolutionäre Teil des Bayreuther Geistes". Friedrich beschreibt Wagner doch recht treffend weiter als "revolutionären Wolf im großbürgerlichen Schafspelz".

Dem heutigen Zustand nicht unähnlich folgt mit Cosima Wagners Leitung eine "repräsentative Haupt- und Staatsaktion, die Affirmation eines pseudoreligiösen, manchmal grotesken Kultes um den von Cosima nachdrücklich betriebenen ‚Wagner-Mythos' sowie die Inanspruchnahme der Festspiele für politisch-ideologische Zwecke und zur Selbstdarstellung der herrschenden Klasse."

Bayreuth wurde zum Ausdruck des späten großbürgerlichen Selbstverständnisses und misstrauisch gegen alle Tendenzen der modernen Gegenwart.

Interessant und eindrucksvoll ist Friedrichs Erkenntnis, wenn er beschreibt, wie "der Tonfall des Kampfes für Wagners Erbe von Beginn an auch gekennzeichnet (ist) durch jenen schrillen Antisemitismus (…). Rassentheorie und Blutsmystik, Nationalchauvinismus, Arierwahn und Herrenmenschentum, Fanatismus und Affirmativität (…) im Namen Wagners. Damit ist der Weg Wahnfrieds und der Festspiele vorgezeichnet in die enge Verbindung mit Ideologie und Propaganda des nationalsozialistischen Staates und dessen Führer" - jedoch weit entfernt von König Ludwig.

Als Wagner 1883 starb, war sein Sohn Siegfried erst 13 Jahre alt und "die Entwicklung einer eigenen persönlichen oder gar künstlerischen Identität (…) nahezu ausgeschlossen." Bereits 1896 wurde er von Cosima in den Festspielbetrieb eingebunden und auf seine künftige Aufgabe vorbereitet.

Sven Friedrich beschreibt Siegfried Wagner, dessen "Persönlichkeit sowie seine Begabung und Bedeutung als Künstler umstritten" ist, und seinen Weg durch die Festspielleitung von 1908 bis 1930. Durch seinen frühen Tod (Friedrich spricht hier von der "Gnade des frühen Todes") musste er sich nicht mehr zur Herrschaft des Nazismus persönlich oder beruflich verhalten.

Spannend, dass auch Siegfrieds Homosexualität "zusätzlich skandalträchtig und strafbewehrt, unter allen Umständen vertuscht werden musste". Die Familie Wagner wurde in jener Zeit als Dynastie Gegenstand der öffentlichen Wahrnehmung und der Presse.

In Siegfrieds Leitungszeit fällt 1901 die Eröffnung des Prinzregententheaters in München - als Kopie des Grundrisses vom Festspielhaus und Konkurrent in der bayerischen Hauptstadt. Es folgen internationale, rechtliche Auseinandersetzungen zu den Parsifal-Aufführungen (1903, 1913) und der Erste Weltkrieg (1914-18) sowie schließlich ein Neu-Anfang in den zwanziger Jahren mit zaghaften Modernisierungsversuchen, die Sven Friedrich wieder sehr plastisch veranschaulicht.

Mit Winifred Wagner folgt wieder eine Frau (zugleich wieder als Witwe) in der Leitung der Festspiele. Erschreckend hatten sich Bayreuth und Faschismus angenähert; Sven Friedrich führt in die Ära ein: "Hitlers tiefe und durchaus nicht völlig verständnislose Liebe zu Wagner sowie seine enge private Verbindung mit der Familie, namentlich Winifred Wagner, lassen die Einheit von Bayreuth und dem Dritten Reich nicht nur als kulturhistorisches Abstraktum erscheinen, sondern stellen sie auch auf eine persönliche, ja familiär intime Basis." Friedrich geht sogar soweit, in der Beziehung zwischen dem "Führer" und der "Herrin von Bayreuth" nachdrückliche Versinnbildlichung der Vereinigung von Staat und Kultur zu sehen: "die 'Königsfreundschaft' zwischen König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner schien ihr zeitgemäßes Pendant zu erhalten."

Viele Nazi-Bonzen waren - nach Friedrichs Angaben - wenig begeistert von Wagner und taten Hitlers Begeisterung als "Spleen" ab; sie waren selten (manche nur ein einziges Mal) zu Gast in Bayreuth.

Mit dem Kriegsbeginn des Zweiten Weltkrieges 1939 gab es keinen freien Kartenverkauf mehr und der bisherige Festspielfonds wurde aufgelöst. "Das Publikum rekrutierte (sic!) sich zunehmend aus Veteranen und Verwundeten, Rüstungsarbeitern, Rotkreuzhelfern und anderen Verdienten des NS-Staats, die in Bayreuth mit echtem deutschen Geist getauft und so für weitere Leiden und Entbehrungen gestählt werden sollten."

Tatsächlich aber musste - nach Friedrich - für große Teile der Gäste diese "schwere Kost" eine "rechte Qual" sein. Die ihnen vielfach unverständlichen Aufführungen wurden ihnen "allein durch die freie Verpflegung schmackhaft und durch alkoholische Sedierung erträglich gemacht".

Durch die Belastungen des Krieges und auch aus Gründen der ideologischen Propaganda wurde der Spielplan immer weiter reduziert. Erst ziemlich spät erkannte man, dass der pazifistische "Parsifal" am wenigsten in die NS-Ideologie passte; er wurde sogar nach Kriegsausbruch verboten und auch in Bayreuth nicht mehr gespielt. "Tristan" war zu düster und leidend, so dass von 1940-42 nur noch der "Ring" und der "Holländer" gegeben wurden.

Nach Stalingrad (1942/43) passte das "Weltenbrandfinale der ‚Götterdämmerung' nicht mehr so recht in Bild und Vorstellung der immer hysterischer werdenden Durchhalteparolen der Kriegspropaganda". So blieb ab 1943 nur noch "Die Meistersinger von Nürnberg" als "folkloristische und optimistisch-unglaubwürdige Durchhalte-Oper".

"Angesichts der nachhaltigen Diskreditierung Wagners und seines Werks, der engen Verbindung der Familie Wagner mit Hitler und der herausragenden kulturellen und kulturpolitischen Stellung, die Bayreuth im Dritten Reich innehatte, erscheint es aus heutiger Sicht fast kaum glaublich", beendet Friedrich seinen Beitrag, "dass die Bayreuther Festspiele bereits sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriege 1951 wieder aufgenommen werden konnten."

In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts entrümpelte der Enkel Richard Wagners, Wieland Wagner, die Requisitenkammer der "alten Oper" des 19. Jahrhunderts, mit ihren Brustpanzern, Speeren, wallenden Gewändern usw.

Ingrid Kapsamer beschreibt in ihrem Aufsatz dessen "Bruch mit der Tradition" und die "gesellschaftspolitischen Auspizien" der Jahre 1951-65. Mit Auspizien, das aus dem lateinischen "Vogelschau" bedeutet, ist hier der altrömische Brauch der altrömischen Priester, der Auguren, gemeint, die die Lage beobachten, um daraus den göttlichen Willen erkennen zu können und somit einen großen Einfluss auf die Götter ausüben konnten. Gemeint ist das Verhalten und sich-einfügen in das gesellschaftliche Klima in der Wiederaufbauphase der BRD und den starren ideologischen Fronten im geteilten Europa.

In seinen neuen Inszenierungen schuf Wieland Wagner Bühnenbilder, die in sich und den Charakteren Heldisches und Alltägliches, Pathetisches und Hintergründiges, Königliches und Schurkisches vereinten. Verpackt in Andeutungen von Staatlichkeit, Frömmigkeit und Jenseitigkeit bewegten sich die Sänger zwischen sternförmigen Kreisen vor einem Weltall-Panorama. Die Szene wurde zum "mythischen Raum"; Wieland Wagner beschrieb seine Ansprüche: "im Orchester liegt das Wesentliche, das universale Unterbewusstsein, welches die Figuren untereinander verbindet und mit der Sage verknüpft."

Mit Farben und Formen, mit Symbolik und Stimmungen, mit Licht und Suggestion versuchte dann Wolfgang Wagner in seinen "Ring"-Inszenierungen 1960 und 1970 den Entwurf einer "szenischen Grundform". Dietrich Mack beschreibt im folgenden Kapitel die Versuche der Neuinszenierung, die "keine Sensation, kein Schock oder Ärgernis" waren, sondern - nach einer für viele ermüdenden Abstraktion - "das Drama einer sich selber entmythisierenden Welt, das Drama der Säkularisierung".

Mack zeigt sehr ausführlich die "dramaturgische Grundstruktur" Wolfgang Wagners in den vier Opernabenden auf. Für Mack folgt der (zweite) Enkel Richard Wagners "in die Form eines gestischen Illusionstheaters", um eine "spannungsreiche Einheit von Musik und Szene" anzustreben.

Mit diesem neuen "Angebot der Bühne" wird der Zuschauer zum "Co-Regisseur", der nicht mehr bevormundet wird, sondern das "Angebot zu Ende denkt". Der Autor sieht diese Inszenierungen als Ankunft in der 68er-Generation.

Die Spielzeit 1976 bildet "eine der vielleicht wichtigsten Zäsuren in der Geschichte der Bayreuther Festspiele". Peter Emmerich ist seit 1989 Leiter der Abteilung Medien und Publikationen bei den Bayreuther Festspielen und fasst in seinem Beitrag die Ring-Inszenierungen durch internationale Stäbe zusammen:

- Die Inszenierung durch das französische Team von 1976 bis 1980 (musikalische Leitung: Pierre Boulez) sowie
- von 1983 bis 1986, diesmal komplett von einem englischen Team verantwortet (musikalische Leitung: Sir Georg Solti),
- von 1988 bis 1992 unter Daniel Barenboim und Harry Kupfer,
- 1994 bis 1998 mit der musikalischen Leitung von James Levine sowie schließlich
- 2000 bis 2004 unter der Leitung von Giuseppe Sinopoli (2000)/Adam Fischer (2001-2004).

Emmerich zieht jedoch in seinem Artikel keine Bilanz, sondern sieht den "Ring" weiterhin als "das Rückgrat der Bayreuther Festspiele". Sein Fazit sieht er dennoch in der "unverlorenen Faszination Bayreuths". "Nicht das Gewollte oder Intendierte einer Inszenierung zählt am Ende, (…) sondern das Erreichte und jene Differenz zwischen dem Sichtbaren/Hörbaren und dem immer noch darüber Möglichen."

Im letzten Beitrag schreibt als siebter Autor Sebastian David Reus (1977), der seit 2001 schon mehrmals bei Ausstellungen der Bayreuther Festspiele, namentlich bei der Ausstellung "Der Ring - Die Szene als Modell", wissenschaftlich mitgearbeitet hat, über die Urgeschichte der Modernität im "Ring des Nibelungen".

Er versucht, das "Spezifische von Wagners Modernität zu fassen", indem er mehrere zeitgenössische Autoren, wie bspw. Richard Klein (1999) und Walter Benjamin (1996), mit historischen (Nietzsche) und philosophischen Ansätzen (Adorno) und den Inszenierungsarbeiten von Patrice Chéreau ("Jahrhundertring") und Peter Hall darstellt und interpretiert. Reus findet hier "die Rätselbilder einer Moderne, die in Wagners Ring immer wieder zu neuer Gestalt findet".

Als Abschluss findet der Leser den 38-seitigen Bildteil mit Bühnenbildmodellen in jeweils verschiedenen Ansichten, die die in den Texten geschilderten Veränderungen treffend untermalen; vom ersten Aufzug der "Walküre", München 1870, über die 1920er Jahre, bis hin zu den "leeren" Bildern Wieland (1953) und Wolfgang (1960) Wagners.

Ein Resümee

Durch die gewandelten Ansätze der "aufgeräumten" Bühne, ist das Szenenbild freier und damit besser für das Verständnis Wagners eigentlicher Ansätze. Deutlich werden die kompakte Dialektik von Macht und Sex und der unüberwindbare Widerspruch von Macht und Humanität, Geld und Nächstenliebe.

Die Handlung, die Helden und die Bühnenbilder sind zeitlos. Wagners Wunsch war die Darstellung des von Furcht und Willkür freien Menschen, der - erst durch seine Freiheit von Verträgen, Regeln, Tradition und Zwängen - wirklich frei und damit zu dem zur Liebe fähigen wahren Menschen wird.

Wagners Musik ist eine überwältigende Begleitung zu imaginären Szenen, die im Grunde nur filmisch darzustellen wären.

Das Buch "Die Szene als Modell" hilft also ganz entscheidend, sowohl Wagners Anspruch an die bildliche Umsetzung seiner Vorstellungen zu verstehen, als auch König Ludwigs Verständnis für die Umsetzung der Lücken, die zwangsläufig bei einem Bühnenbild auftreten müssen, nachzuvollziehen.

Wagner hat das wesentliche Anliegen der Kunst sichtbar gemacht: durch die Täuschung der Sinne, den "wahren" Schein zu einem unbewussten Hellsehen zu führen. Hierzu ist es von wesentlicher Bedeutung, durch Szenenbilder eine Illusion zu schaffen, die erst dadurch zu einer Vision wird, je realistischer sie wirkt.

Was man heute mit einer "Des-Illusionierung des Theaters" glaubt gehen zu müssen, ist ja gerade das Gegenteil des Verständnisses vom Gesamtkunstwerk Richard Wagners, auch wenn Wolfgang Wagner im Grußwort des Bandes diese Werktreue "meist falsch verstanden" sieht.

Es fehlen leider Stichwortregister, Abbildungsverzeichnisse und ähnliches, was den Nutzwert des Buches noch abgerundet hätte. Dennoch ist es wohl ein bisher einmaliges Werk, das hilft, sich aus den verschiedenen Standpunkten heraus an die Szenenbilder heranzuarbeiten und zu vertiefen.

Michael Fuchs, Berlin, 31. Dezember 2006

Teil 2: Die Sagenwelt der Nibelungen in den Bildprogrammen der Schlösser
Anmerkungen und Gedanken

zum Artikel

ludwig-zwo@michaelfuchs.de

 

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