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Buchbesprechung

Karin Dütsch/Achim Sing (Hrsg.)
"Eine Krone für Bayern - 200 Jahre Königreich Bayern"
SüdOst-Verlag, Waldkirchen 2005
Illustrationen: Rosemarie Zacher
Umfang: 112 Seiten, zahlreiche Illustrationen
und historische Abbildungen, gebunden
ISBN 3-89682-151-2
Preis: 13,90 Euro

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Der Freistaat Bayern kann in diesem Jahr wieder einige runde Jahrestage feiern.

Vor 60 Jahren (08.12.1946) trat die durch einen Volksentscheid angenommene neue Bayerische Verfassung in Kraft, die zweite Republik wurde damit gegründet. Vor 100 Jahren (13.11.1906) wurde der Grundstein für das Deutsche Museum in München gelegt. Vor 120 Jahren (13.06.1886) starb König Ludwig II. von Bayern - damit begann zugleich die "Prinzregentenzeit", eine später gern als "letzte kulturelle Glanzepoche" bezeichnete Ära. Vor 200 Jahren schließlich (01.01.1806) fand die feierliche Proklamation des bayerischen Kurfürsten zum ersten bayerischen König der Neuzeit statt.

Nicht durch Gottes Gnade, sondern Dank der Gnade des Kaisers der Franzosen, Napoléon Bonaparte, wurden im Vorjahr die Weichen gestellt für die Erhebung der Kurfürsten von Württemberg und Bayern zu Königen. Napoléon ließ im Juli 1806 nach einigen Schwierigkeiten 16 deutsche Reichsstände zum Rheinbund vereinen, diese kündigten im August ihre Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und dessen letzter Kaiser Franz II. legte die Reichskrone nieder. Seit langem geplante Reformen konnten nun durchgeführt und der neu geschaffene bayerische Staat konsolidiert werden. Damit konnte Napoléon auch in deutschen Ländern Gesetzeswerke zur Rechtsnorm werden lassen, die Dank der Französischen Revolution entstanden waren: Neben Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gehörten dazu auch das Ende der Leibeigenschaft für Bauern, Gewerbefreiheit für Handwerker, Trennung von Kirche und Staat, Gewissensfreiheit, Einführung der zivilrechtlichen Eheschließung und legitimierte Ehescheidungen. Die Einführung des Code Civil bescherte den Bürgern Gleichheit vor dem Gesetz, schaffte ständische Privilegien ab und garantierte das Privateigentum. Es gilt weltweit als Grundlage moderner Rechtssysteme (in Deutschland wurde erst 1900 mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch ein ähnlich umfassendes eigenständiges Rechtswerk eingeführt). Auch das nach französischem Vorbild eingeführte (und erst mit der Reichsgründung 1871 geänderte) Strafrecht war eines der modernsten und liberalsten der Geschichte. Verfassungsrechtlich verankert wurden diese Rechte erst mit der "Konstitution für das Königreich Baiern" vom 01.05.1808, der ersten Verfassung im formellen Sinne.

Jene Rangerhöhung Bayerns zum Königreich vor 200 Jahren bedeutete die Erlangung der vollen Souveränität Bayerns. Es begann also eine Epoche, die in einem tief greifenden Erneuerungs- und Integrationsprozess auch das Fundament für den modernen bayerischen Staat legte. Bayern wurde zum wichtigsten Verbündeten Frankreichs und durch die Gebietserweiterung zur drittgrößten Kraft in Deutschland (nach Österreich und Preußen).

Den Auftakt zum Jahr des zweiten Zentenariums der Zuerkennung der Königswürde Bayerns durch den französischen Kaiser beging der Freistaat im Januar 2006 nicht in München, sondern in seiner Berliner Landesvertretung. Dort wurde auch ein Buch vorgestellt, das bereits im Herbst vergangenen Jahres entstanden ist; in einer Serie der Bayerischen Staatszeitung haben 24 Autoren ganze 36 Artikel verfasst, die mit Illustrationen und Fotografien bebildert wurden.

Bayern war also zwischen 1806 und 1918 ein Königreich; aus diesen 112 (!) Jahren gibt es viel zu berichten. Die Autoren kommen alle aus dem historisch-kulturellen Umfeld der bayerischen Landesgeschichte (zum Teil mit eigenen Publikationen), gehen aber hauptberuflich meist anderen Aufgaben nach. Das Autorenverzeichnis, das den einzigen Anhang bildet, schweigt sich hier leider aus und wir erfahren tatsächlich recht wenig über die Autoren.

Der Titel des Buches könnte vermuten lassen, Bayern sei immer noch ein Königreich. Die Verfassung von 1946 und das im gleichen Jahr gegebene Versprechen des Präsidenten der Verfassunggebenden Landesversammlung an den US-General Clay, keinerlei bayerischem Separatismus zu folgen und sich dem (1949 gegründeten) deutschen Bundesstaat anzuschließen geben uns aber doch die Sicherheit: "Bayern ist ein Volksstaat. Träger der Staatsgewalt ist das Volk." (Art. 2 Abs. 1 Verfassung des Freistaats Bayern)

Die vorliegende Sammlung zahlreicher Artikel, die jeweils etwa 2-3 Seiten umfassen, streifen die Themen Parlament in der Monarchie, Verfassung, Konfessionen, Trachten, Musik, Literatur, Territorien und die Eigenheiten ihrer Bewohner, Bauern, Wissenschaft, Industrie und Innovation.

Eine Struktur oder inhaltliche Gliederung ist auf den ersten Blick in das Inhaltsverzeichnis nicht zu erkennen; hier wären Zwischenüberschriften vielleicht hilfreich gewesen. Die Qualität der einzelnen Texte ist sehr durchwachsen.

Als Lesebuch ist die Artikelsammlung, aufgelockert durch ein schönes Layout mit zahlreichen Bildern und Fotografien, jedoch durchaus geeignet, ein Augenzwinkern zu vermitteln und Neugier auf das Kulturland Bayern zu wecken. Die zahlreichen Themen zeigen auch die beeindruckende Vielfalt an Motiven, die sich in den Jahren bis zur Revolution 1918 ergeben haben.

Zunächst berichtet Dirk Götschmann einführend über die Zeit, in der die bayerischen Herrscher zwischen den Habsburgern und den Franzosen standen und schließlich wählen mussten, wollten sie nicht untergehen. Sie entschieden sich richtig und gewannen nicht nur Gebiete hinzu. Das vollkommen veraltete feudalistische Heilige Römische Reich Deutscher Nation war am Ende und für das ehemalige Kurfürstentum Bayern begann eine Zeit des Aufbruchs.

Neben einem Artikel über die Staatsfinanzen widmet sich Götschmann etwas später im Buch dem Parlament - zu Unrecht "degradiert zum Gegner von König und Regierung" -, seiner Geschichte von der ersten Ständeversammlung über die Revolution und Reaktion bis hin zur "parlamentarischen Monarchie", die aber dann nicht mehr verwirklicht werden konnte.

Mit einer originellen Idee, nämlich dem fiktiven Tagebuch einer 1790 geborenen "Wäschebeschließerin", das "im Februar 2005 (…) in Schloss Linderhof (…) entdeckt" wurde, springt Egbert Tholl von 1806 bis 1919 in amüsant erfrischender Weise durch die politischen Ereignisse aus der Sicht einer Arbeiterin. Die Satire kann skurrilerweise zu Missverständnissen führen, die aber leicht zu entlarven sind, wenn man sich nur das hypothetische Alter der Dame vor Augen führt: Sie müsste ja mindestens 129 Jahre alt geworden sein, um das alles tatsächlich erlebt zu haben. Angeregt wird aus dem Nähkästchen geplaudert: so hat "der Kainz nackert mit enormen Gemächt im Zimmer gestanden" und mit Luitpolds Dackel ist "nach 100 Jahren alles so bürgerlich" geworden…

Hans-Michael Körner wird dann wieder etwas nüchterner, wenn er über den bayerischen Gesamtstaat schreibt. Trotz (sic!) König Ludwig II. hat der bayerische Staat seine Sonderstellung weitgehend behalten können. Dessen "integrationspolitische Bemühen" sieht der Autor mehr als defizitär; das Weiter-Bestehen Bayerns nach der Reichsgründung 1871 sieht er als alleinigen Verdienst der ersten drei Könige an. Auch stellt er die "hypothetische Frage", ob ein republikanisches System einen solchen Gesamtstaat hätte formen können und sogar die "Brüche und Verwerfungen des 20. Jahrhunderts" überstanden hätte.

Mit der Außenpolitik, am Beispiel der bayerischen Diplomatie gegenüber Großbritannien, beschäftigt sich Markus Mößlang. Trotz der auffällig späten und unter schwierigen Bedingungen erfolgten Aufnahme diplomatischer Beziehungen der beiden Staaten im Jahre 1814 tauchte der Staat Bayern auf keiner britischen Weltkarte auf. Bayern war für Großbritannien erst 1833 von Bedeutung, als es zusammen mit Russland Otto von Bayern zum griechischen König ernannte (er musste 1862 wieder abdanken). Als einen der wenigen bayerisch-britischen "Technologietransfers" bezog die britische Marine "Liebigs Fleischextrakt". Der Autor sieht diese "außenpolitische Bedeutungslosigkeit" durchaus wohlwollend, förderte sie doch das positive Bayernbild.

Über die Heiratspolitik in der Monarchie schreibt Sylvia Krauss-Meyl. In dem Spannungsfeld "Kalkül versus Gefühl" standen die zu knüpfenden Verbindungen der Töchter und Söhne des Herrscherhauses im neuen Königreich einerseits in der jahrhundertealten Praxis der politischen Heiratsabrede, andererseits aber mit sich durchsetzenden Liebesheiraten im neuen Lebensgefühl der Romantik. Die Brautschauen verliefen mit französischen (die aber vom frankophoben Ludwig I. im Gegensatz zu seinem Vater wieder abgelehnt wurden), habsburgischen, württembergischen und preußischen Herrscherhäusern immer weniger geplant-politisch, bis hin zur schließlich letzten Ehe von König Ludwig III., die gänzlich unter dem Motto "Gefühl statt Kalkül" stand.

Die folgenden Artikel von Hans von Malottki, Anita Eichholz, Wolfgang Petz, Bernhard Setzwein beschäftigen sich nun mit den Eigenheiten der zum Teil doch recht eigensinnigen Landsleute aus der Pfalz, aus Franken, Schwaben und der Oberpfalz im Zusammenhang mit ihrem Anschluss an Bayern. Eigenständige Forderungen, nach Erhalt bereits errungener Freiheiten und Selbstverwaltungen, wurden zum Teil blutig niedergeschlagen. Auch im Revolutionsjahr 1848/49 kam "treibende Kraft" aus jenen Regionen. Später wurde aber versucht, regionale Ansprüche durchaus zu berücksichtigen, z. B. durch Sitz und Stimme in der Kammer der Reichsräte. Bei einigen Regionen blieben eigenständige Bedürfnisse aber doch so stark, dass es sogar noch 1946 Planspiele für eigene Bundesländer gab.

Die Landwirtschaft war im 19. Jahrhundert der wichtigste Wirtschaftsfaktor in Bayern; drei Viertel der bayerischen Bevölkerung waren hier beschäftigt. Schon früh wurde der Landwirtschaftliche Verein gegründet und förderte die Integration im neuen Königreich. Über das oft vernachlässigte Thema der "Bauern im Frack" schreibt Stefanie Harrecker.

Natürlich darf der "in der Gegenwart geradezu als Verkörperung bayerischer Identität" wahrgenommene König Ludwig II. nicht fehlen. Daher wird er in zahlreichen Artikeln mehr oder auch durchaus weniger positiv erwähnt. Hauptsächlich beschäftigen sich mit ihm aber Alexander Altmann ("Der Ring des Nibelungen" - nichts anderes als eine bayerische Nationaloper mit Regionalproporz?), Jean Louis Schlim (die technische Entwicklung unter Bayerns Königen als "Zweck oder Spielerei?"), Klaus Reichold (Schrulligkeiten, Berge), Marcus Spangenberg (Vermarktung und Kitsch) und Egbert Tholl ("Schicksal auf der Musicalbühne").

Weitere Autoren widmen sich der "Aristokratie des Geistes", der "Jagd nach unzüchtigen Schriften" oder der "Lyrik als Königsdisziplin".

Die Illustrationen und Fotografien lockern diese teilweise mit erfrischend leichter Hand geschriebenen Texte auf. Das Buch kann sicher keine wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung ersetzen, greift mit seinen vielen Facetten aber so manch interessante Thematik auf, die auch Laien ansprechen und vielleicht auch zum vertiefen anregen wird.

Kleiner Wermutstropfen: Es fehlt ein Register, das die schnelle Stichwortsuche erleichtern würde, so muss man sich an das Inhaltsverzeichnis der Überschriften halten. Ebenso fehlen Quellen- und (weiterführende) Literaturangaben.

Auch wenn es sich hier also um kein historisches Standardwerk zum 200. Jahrestag der Inthronisation handelt, so ist es insgesamt dennoch ein ansprechend gemachtes, unterhaltsames Buch, ein Potpourri bayerischer Befindlichkeiten.

© Michael Fuchs, Berlin, 25.03.2006


ludwig-zwo@michaelfuchs.de

 

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